Mit andra Auga

Das Leben steht still. Vielleicht sogar kopf. Etwas Fremdartiges hält die Welt in Atem und die Menschen im Würgegriff. Etwas Angsteinflößendes. Unsichtbar und gerade deshalb umso bedrängender. Verunsicherung greift um sich. Besorgnis. Beklemmung. Angst treibt Blüten, sät Zweifel. Wir sind verletzlich geworden. Unser Grundvertrauen läuft Gefahr, erhebliche Kratzer davonzutragen. Zumal uns das Unheilvolle auf dem falschen Fuß erwischt hat. Plötzlich, unvermittelt, unerwartet.

Jetzt türmen sich Fragen auf. Unsere Befürchtungen tragen tausend Namen. Da wir im Begriff sind, allerhand zu verlieren, was wir einfach für selbstverständlich genommen haben. Vielleicht auch, weil wir uns zu sicher waren, zu sehr geglaubt haben, die Zügel fest in Händen zu halten.

Was immer auch werden mag – eine Rückbesinnung tut not, ein Umdenken, ein Wiedererwachen der Wertschätzung.

„´s Laitsail hebbt dr Herrgott all noh sell“, hat einmal ein einfacher alter Mann zu mir gesagt. Dann hat er mir tief in die Augen geschaut und ist schließlich still seiner Wege gehinkt. Ich habe ihm noch lange hinterhergeblickt und über seinen dürren Satz nachgedacht. Und verstanden, so meine ich, habe ich ihn auch, den weisen alten Mann. Seinerzeit. Zumindest ein Stück weit. Heute aber gewahre ich die ganze Wucht seiner Worte und die Dringlichkeit eines anderen Blickes auf die Dinge und uns selbst.

Mit andra Auga

Mir learnat grad, wia ´s isch –
ohna ´s Laitsail en dr Hand.

Mir learnat grad, wia ´s isch,
wenn d´ Ross duragand.

Mir learnat grad, wia ´s isch,
wenn keif dr Wend gaut
ond sa d´ Mähna om da Rank
romm verheba nomma laut.

Hendanauch duat des weah.

Komm, hock a weng hea.
I moin all, mir sottat allerhand
mit andra Auga meah seah.

[Zum besseren Verständnis ein paar Worterklärungen: Laitsail = Leitseil, Leine zum Führen des Zugpferds; keif = fest, kräftig, derb, streng; Mähna = Pferdegespann; Rank = Kurve; hendanauch = womöglich; sottat = sollten.]