Wir schreiben den 24. Februar 1985. Ein Sonntag. Der Berliner Platz bebt. Mehr als sechstausend Kehlen stimmen Freudengesänge an. Die Spieler liegen sich in den Armen. Tosender Applaus begleitet sie auf ihren Ehrenrunden. Die Halle steht kopf. Gleicht einem Tollhaus. Droht aus allen Nähten zu platzen. Mit 4:2 hat der ESVK den EV Landshut entzaubert. Nun ist es vollbracht. Der entscheidende dritte Sieg in trockenen Tüchern. Abermals stehen die Rotgelben im Halbfinale um die deutsche Meisterschaft. Haben binnen Jahresfrist den größten Erfolg der Vereinsgeschichte wiederholt.
Aber der Reihe nach. Der Eissportverein Kaufbeuren hatte sich nach seinem Wiederaufstieg im Jahr achtzig längst als feste Größe in der Bundesliga etabliert. Er besaß eine eingeschworene Mannschaft, die vom ausgewiesenen Fachmann Florian Strida umsichtig angeleitet und beständig weiterentwickelt wurde. Gerhard Hegen im Tor. In der Abwehr die Stadtmauer aus Manfred Schuster und Dieter Medicus. Vorne der Kaufbeurer Jahrhundertspieler Didi Hegen und die tschechoslowakischen Weltklassestürmer Vladimir Martinec und Bohuslav Stastny, für die sich als Anerkennung ihrer überragenden Verdienste der Eiserne Vorhang aufgetan hatte. Topscorer Horst Heckelsmüller harmonierte prächtig mit ihnen. Nimmermüde Kämpfer vom Schlage eines Beppo Riefler bereicherten das Team, das miteinander durch Dick und Dünn ging und sich in der Breite und Tiefe auf die Früchte der herausragenden Kaufbeurer Nachwuchsförderung verlassen konnte.
Wie um diesen Grundpfeiler der Kaufbeurer Eishockeyphilosophie zu untermauern, beherrschten die Junioren des ESVK im jungen Jahr 1985 die Endrunde und holten zum zweiten Mal nach 1971 den deutschen Meistertitel an die Wertach.
„Die Zusammenstellung der Mannschaft war für einen kleinen Verein wie den ESV Kaufbeuren optimal“, erzählte mir einmal Nationalspieler Manfred Schuster. „Auf der einen Seite die Weltklasseleute, an denen sich die Mitspieler aufrichten konnten, auf der anderen sehr ehrgeizige und hart arbeitende Spieler, die mit sehr viel Disziplin und einer hervorragenden Einstellung zu Werke gingen und gerade bei Heimspielen über sich hinauswuchsen. Wir waren einfach eine Einheit. Insbesondere auch mit dem Publikum. Wahrscheinlich spielte die Tatsache, dass die meisten Spieler aus Kaufbeuren kamen und sich die Zuschauer mit ihnen identifizieren konnten, eine große Rolle.“
Als Bundesligafünfter war der ESVK also erneut in die Play-offs eingezogen. Dort traf er im Viertelfinale auf den von Erich Kühnhackl angeführten Tabellenvierten aus Landshut. Ausgerechnet Landshut, gegen das man im Jahr davor unmittelbar vor dem Einzug ins Finale gestanden, aber unter äußerst fragwürdigen Begleiterscheinungen doch noch ausgeschieden war. Die Emotionen kochten hoch. Kaufbeuren gegen Landshut, das elektrisierte die Massen. Hochspannung war garantiert, vom bayerischen Bruderkrieg die Rede. Eishockeydeutschland kannte kein heißeres Duell in jenen Tagen.
Eine Viertelfinalserie auf Messers Schneide stand bevor. Hitzig und beinhart. Eine Nervenschlacht, über der bleischwer die schwarzen Wolken des 84er Halbfinales hingen. Die Revanche aber sollte gelingen. Und zwar überzeugend. Auch wenn sich die favorisierten Dreihelmenstädter am Gutenbergweg zunächst noch knapp mit 4:3 durchzusetzen vermochten. Schon beim Rückspiel drehte der ESVK den Spieß um. Er siegte sicher 4:1 und riss schließlich mit einem furiosen 8:5 in Niederbayern die Serie an sich. Bei drei notwendigen Siegen standen plötzlich Tür und Tor offen, um die Abschiedssaison seines magischen Dreigestirns Strida-Martinec-Stastny aus dem böhmischen Pardubitz zu krönen.
Der zum Bersten vollgestopfte Berliner Platz glich einer Festung. Es herrschte knisternde Spannung. Die Hütte brannte. Und die Mannschaft um Kapitän Manfred Schuster nahm nicht nur die Herausforderung an, sondern auch entschlossen das Heft in die Hand. Beherzt warf sie ihre bewährten Tugenden in die Waagschale. Spielerische Klasse. Unbändige Kampfkraft. Mannschaftliche Geschlossenheit. Sie ließ sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen. Rang den EV Landshut auch im zweiten Heimspiel verdient nieder. Didi Hegen, Dino Medicus, Vladimir Martinec und Walter Kirchmaier machten vier Buden. Ein überragender Gerhard Hegen hielt hinten den Laden dicht. Als schließlich die Sirene ertönte und sich das kleine gallische Dorf von der Wertach mit 3:4, 4:1, 8:5, 4:2 erneut unter die Eishockeyriesen des Landes einreihte, brachen am Berliner Platz alle Dämme. Ein Traum ging in Erfüllung. Schiere Freude brach sich Bahn. Und ein ganzes Stück Seelenbalsam bedeutete das Weiterkommen obendrein. „Außenseiter Kaufbeuren macht Furore“, überschrieb die Süddeutsche Zeitung anderntags ihren Bericht über einen Verein, den schon immer die Gemeinschaft stark gemacht hat.
Vierzig Jahre sind seither ins Land gezogen. Grund genug, einen Augenblick innezuhalten, um sich jenes denkwürdigen 24. Februar 1985 und der Goldenen Achtziger zu entsinnen, als der Eishockeydavid aus dem Allgäu den Goliaths das Fürchten lehrte, binnen acht Jahren zweimal ins Halbfinale und sechsmal ins Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft einzog. Viel ist seither geschehen. Die Welt hat ihr Gesicht verändert. Der ESVK aber lebt. Er ist ein Fels in den Stürmen der Zeit. Und damals wie heute der Herzensverein einer Stadt und einer ganzen Region.
Der Kaufbeurer Kader: 1 Sepp Kontny, 2 Gerhard Hegen * 3 Manfred Schuster (C), 4 Dieter Medicus, 7 Ladislav Hospodar, 19 Sven Erhart, 21 Toni Forster * 8 Harald Birk, 10 Arnim Kauer, 11 Didi Hegen, 12 Horst Heckelsmüller, 13 Vladimir Martinec, 14 Walter Kirchmaier, 15 Robert Hammerle, 16 Dieter Koldas, 17 Bohuslav Stastny, 18 Beppo Riefler, 20 Ron Jonkhans, 22 Bernhard Seibt.
Trainer: Florian Strida * Mannschaftsbetreuer: Peter Werner * Vorstand: Sepp Pflügl.