Augenblicke – Leidenschaft ESVK

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Der vorliegende Text ist der Einstieg in das Kapitel 4:5, das über die hochdramatische Partie des ESV Kaufbeuren gegen den EHC Freiburg erzählt. Am 8. April 1990 verlor der ESVK das letzte von achtzehn Relegationsspielen nach einer 4:1-Führung mit 4:5. Damit gaben die Allgäuer im letzten Drittel eine ganze Saison aus der Hand.

Die Halle am Berliner Platz war voll bis unter die Decke. Schulter an Schulter standen die Menschen eng aneinander gepresst. Alle Plätze belegt. Ausverkauft. Natürlich ausverkauft. 6200 Zuschauer. Im letzten, im achtzehnten Spiel der Aufstiegsrunde benötigte der ESVK noch ein Unentschieden gegen den unmittelbaren Konkurrenten aus dem Breisgau, der gewinnen musste, um die Klasse zu halten, in die wir unbedingt zurückwollten, um die Wunde des Abstiegs endgültig heilen zu lassen und das verunglückte Vorjahr wiedergutzumachen.
Der Jubel und die Begeisterung kannten keine Grenzen. Wir führten 4:1. Nie mehr, nie mehr, nie mehr zweite Liga, hallten stimmgewaltig die Freudengesänge. 4:1. Das waren vier Tore Vorsprung für den ESVK, dem ein Punkt reichte. Nichts und niemand würde uns mehr aufhalten können auf unserem Weg zurück in die Bundesliga. Der ESV war wieder da. Zuversicht breitete sich aus. Da würde nichts mehr anbrennen. Feierlaune.
Es sah gut aus an jenem denkwürdigen Sonntagabend im April. Der ESVK hatte am Freitag zwar ein deftiges 1:10 beim EV Landshut, den man daheim 6:4 geschlagen hatte, schlucken müssen und seine fünf Punkte Vorsprung auf Freiburg waren beinahe aufgezehrt, doch führten die Rotgelben mit 4:1 gegen den direkten Konkurrenten. Unsere Mannschaft war im Begriff, das Tüpfelchen auf das i zu setzen. Noch einmal würde uns der letzte Spieltag nicht missraten, sich das 2:3 gegen Krefeld nicht wiederholen. Die Stimmung war prächtig, ausgelassen, euphorisch, ansteckend. Am Berliner Platz kochte der Hexenkessel über. […]


In der hartumkämpften Abstiegsserie des Jahres 1991/92 sicherte sich der ESVK gegen den EV Landshut mit 6:5 n.V., 5:6, 6:4, 5:4 n.V., 6:4 den Klassenerhalt – trotz der knappen und mitunter hochdramatisch zustande gekommenen Ergebnisse fraglos verdient. Von überragender Wichtigkeit war dabei das 5:4 nach Verlängerung am 6. März 1992 in Landshut, von dem diese Leseprobe stammt.

[…] Die Begegnung nahm Fahrt auf. Es ging um sehr viel. Tempo, Spannung und Härte bestimmten das Bild, natürlich stellten sie die dominierenden Elemente des Spiels dar, schließlich standen sich Landshut und Kaufbeuren gegenüber. Die Niederbayern drängten mit aller Macht auf den Ausgleich der Serie, die Allgäuer wollten unbedingt ihre dritte Partie gewinnen und damit eine Vorentscheidung herbeiführen. Atemberaubendes Tempo, prickelnde Spannung, unnachgiebige Härte konnten deshalb nicht ausbleiben.
Wir hielten den Atem an, schnauften tief durch, lebten jeden Spielzug mit, rissen mit Cestmir Fous die Fanghand nach oben, dribbelten uns an der Seite von Ladislav Lubina durch die Landshuter Abwehr, blockten mit Daniel Kunce die Angriffe ab und litten, als Jason Lafreniere die Heimmannschaft im letzten Drittel mit 3:2 in Führung schoss. Es wurde noch spannender, noch dramatischer, noch enger.
54. Minute. Nicht mehr viel Zeit verblieb. Wir lagen hinten und gerieten zudem in Unterzahl. Trotzdem traf Frantisek Frosch. Der deutsch-tschechische Verteidiger mit dem mächtigen Schlagschuss machte den Ausgleich und schockte Landshut, das in seiner Überzahl die Entscheidung hatte erzwingen wollen. 3:3 statt 4:2. Wieder stand die Partie auf des Messers Schneide, wieder ging es um alles oder nichts, wieder spitzte sich die Spannung bis zum Zerreißen zu, wieder musste die Entscheidung in der Schlussphase fallen.
58. Minute. Die Niederbayern hatten erneut einen Mann mehr auf dem Eis. Schiedsrichter Gerhard Lichtnecker aus Rosenheim wollte es so. Und dieses Mal traf Landshut. Anton Raubal auf Pass von Tobias Abstreiter. 4:3. Das Spiel schien verloren, ein erneuter Kraftakt kaum denkbar. Wir waren ernüchtert, enttäuscht, bestürzt, vor den Kopf gestoßen.
60. Minute. Längst hatte Cestmir Fous das Eis verlassen und einem sechsten Feldspieler Platz gemacht. Die Uhr lief gnadenlos und sie lief gegen uns. Noch fünfzig Sekunden. Angriffswelle auf Angriffswelle rollte auf Torwart Bernhard Englbrecht zu. Noch vierzig Sekunden, noch dreißig. Die Sekunden entschwanden, entglitten, verflogen, stürmten davon wie ein durchgegangener Gaul, der dem Reiter die Zügel entrissen hatte. Noch immer 4:3. Noch zwanzig Sekunden. Wir lagen zurück. Die Zeit verrann. Noch dreizehn Sekunden. Da traf Jim Hoffmann. Ein Aufschrei, ein Jubel, das Unentschieden, alles war wieder offen. Mike Millar und Dany Held hatten aufgelegt. Landshut geschockt, wir obenauf. Dreizehn Sekunden vor Schluss hatte der ESVK die Verlängerung erzwungen. Wieder hatte der ESVK alles in die Waagschale geworfen, wieder hatte sich der ESVK in der allerletzten Minute das Glück erkämpft. Die Landshuter Anhänger verstummten, aus einem rotgelben Fahnenmeer erschallten zuversichtliche Freudengesänge.
Also Verlängerung, wieder Verlängerung. Eine Minute verging, noch eine, dann kam sie, die …
63. Minute. Und dann kam er, Mike Millar, die Zwölf. Über rechts ging er durch, unmittelbar unterhalb unserer Stehtribüne. Der Puck klebte an seinem Schläger. Seine dynamischen Schlittschuhschritte strahlten Kraft aus. Schließlich zog er aus der Halbdistanz ab. Ansatzlos. Wuchtig. Hart. Wie in Zeitlupe erlebte ich seinen Schlagschuss, ehe die kleine schwarze Scheibe im Landshuter Tor einschlug und das Netz scheinbar zerfetzen wollte. Ein Schuss. Ein Tor. Ein Wahnsinn. Die Spannung zerbarst in einem Aufschrei.
Wieder hatte der ESVK das Spiel gedreht, wieder hatte die Mannschaft ungeheure Moral gezeigt, wieder einmal hatte sie bis zur letzten Sekunde an sich geglaubt, wieder einmal hatten wir dem Erzrivalen die Stirn geboten. Jetzt lag der Klassenerhalt ganz nahe. Wir führten mit 3:1 Siegen. Das Team feierte ausgelassen auf dem Eis, die Anhänger verwandelten das Stadion am Gutenbergweg in eine Kaufbeurer Halle. Rotgelbe Glückseligkeit.
Wir genossen noch lange den Zauber des Augenblicks. […]

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